Ein Gerichtsurteil verdeutlicht, wie weit ein Unternehmen gehen darf, um Beschäftigte eines Konkurrenten abzuwerben.
25.11.2024 (verpd) Zwei konkurrierende Firmen einer Branche sind wegen einer wechselseitigen Abwerbung von Beschäftigten in Konflikt geraten. Unter anderem hatte ein Unternehmen seinen Mitarbeitern, die bereits bei ihm gekündigt hatten, eine Geldprämie und eine rechtliche Unterstützung angeboten, damit sie die bei der Konkurrenz angenommene Arbeitsstelle nicht antreten. Das Landgericht Koblenz zeigt in seinem Beschluss zum Streitfall Leitlinien auf, die zeigen, wann eine Abwerbung rechtlich zulässig ist und wann nicht.
Eine Firma, die im Bereich stationärer Brandschutzsysteme tätig ist, warb 25 Mitarbeiter eines Konkurrenzunternehmens ab. Diese Beschäftigten hatten bereits bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gekündigt und jeweils einen Arbeitsvertrag bei dem Unternehmen, von dem sie abgeworben worden waren, abgeschlossen. Allerdings erklärten einige Arbeitnehmer kurz vor Antritt ihrer neuen Tätigkeit ihre fristlose Kündigung. Einer trat zudem ohne Kündigung die neue Stelle nicht an.
Das Unternehmen beantragte daraufhin beim Landgericht (LG) Koblenz eine einstweilige Verfügung, um die nach Ansicht des Antragsstellers unlauteren Maßnahmen des bisherigen Arbeitgebers (Antragsgegner), die das Ziel hätten, die Beschäftigten zurückzubekommen, zu unterbinden.
Unlautere Methoden?
Der Antragssteller begründete seinen Antrag auf einstweilige Verfügung damit, dass der Antragsgegner aktiv und gezielt darauf hinwirke, dass die wechselwilligen Mitarbeiter ihre neuen Arbeitsverträge verletzen, damit sie zum bisherigen Arbeitgeber zurückkehren. Zugleich würde der Antragsgegner damit den Antragssteller als Konkurrenzunternehmen schädigen.
Konkret warf der Antragssteller dem bisherigen Arbeitgeber vor, den betroffenen Beschäftigten eine kostenfreie Rechtsberatung und Prämien in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro offeriert zu haben, um den Wechsel zu verhindern. Die Prämien seien auf einer Betriebsversammlung angeboten worden. Bei einem Mitarbeiter sei einer der Geschäftsführer des Antragsgegners persönlich telefonisch aktiv geworden, um einen Wechsel zu verhindern.
Dass die Antragsgegnerin für die Kündigungen verantwortlich sei, zeigen laut Antragssteller auch die Kündigungsschreiben, die einen annähernd gleichen Wortlaut, Aufbau und Form gehabt hätten. Das Nichterscheinen der Arbeitnehmer am neuen Arbeitsplatz führte nach Angaben des Antragsstellers in seinem Unternehmen zu erheblichen Störungen im Betriebsablauf.
Der Antragssteller beantragte im Rahmen der einstweiligen Verfügung unter anderem, dass der bisherige Arbeitgeber die abgeworbenen Beschäftigten für die Dauer von bis zu sechs Monaten nicht wieder einstellen oder weiterbeschäftigen darf. Zudem sollte dem bisherigen Arbeitgeber untersagt werden, den wechselwilligen Arbeitnehmern eine kostenfreie Rechtsberatung anzubieten sowie Prämien für Rückkehrer in Aussicht zu stellen.
Kein unlauterer Wettbewerb
Das LG Koblenz lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Urteil (11 O 12/24) vom 17. September 2024 jedoch ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass weder ein Verfügungsanspruch noch ein Verfügungsgrund vorlag. Zentral für die Entscheidung war die Prüfung, ob die Maßnahmen des Antragsgegners gegen die §§ 4 und 4a UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) verstießen.
Unlauter wäre laut Urteil zum Beispiel eine Verleitung zum Vertragsbruch. Darunter fällt nach aktueller Rechtsprechung zum Beispiel, wenn ein Abwerber einen Beschäftigten zur sofortigen Einstellung der Arbeit, zu einer provozierten Kündigung oder zu einer Verletzung von Ausschließlichkeitsvereinbarungen oder Wettbewerbsverboten verleitet.
Ebenfalls unlauter wäre eine Abwerbung durch den Einsatz von Druck, unangemessener Einflussnahme oder Irreführung eines Arbeitnehmers, aber auch wenn eine Abwerbung nur erfolgt, um in primärer Absicht einen Konkurrenten wirtschaftlich zu schädigen.
Rückholversuch, Prämien für verbleibende Mitarbeiter …
Nach Auffassung des Gerichts konnte der Antragsteller nicht glaubhaft machen, dass die Maßnahmen des Antragsgegners unlauter waren. So sei eine Absicht des Antragsgegners nur den Antragssteller mit dem Versuch, die Arbeitnehmer zurückzuholen, schädigen zu wollen, nicht zu erkennen.
Dies begründete das Gericht wie folgt: „Die wechselwilligen Mitarbeiter waren zuvor bei ihr (Antragsgegnerin) tätig, sodass sie ein erhebliches Eigeninteresse an der Weiterbeschäftigung dieser Mitarbeiter hat und diese benötigt.“
Auch die angebotene Prämie für den Verbleib im Unternehmen ist laut Urteil legitim, wenn sie allen Beschäftigten unterbreitet wird. Die telefonische Offerte speziell an einen Mitarbeiter, also dass die Prämie außerhalb der Betriebsversammlung angeboten worden sei, konnte der Antragssteller nicht belegen.
„Die Ankündigung der Prämienzahlung im Rahmen der Betriebsversammlung sollte allen Mitarbeitern und nicht nur den wechselwilligen Mitarbeitern zugutekommen. Dass den anderen wechselwilligen Mitarbeitern eine erhöhte Prämienzahlung außerhalb der Betriebsversammlung angeboten worden ist, ist hingegen nicht ersichtlich“, wie das Gericht verdeutlichte.
… und eine rechtliche Unterstützung sind erlaubt
Nicht zu beanstanden war ferner die rechtliche Unterstützung, da sie die Entscheidungsfreiheit der Mitarbeiter nicht beeinträchtigte, so das Gericht. Die Behauptung, der Antragsgegner habe die wechselwilligen Mitarbeiter gezielt zum Vertragsbruch verleitet, ist gemäß dem Urteil nicht ausreichend belegt. Das Gleiche gilt für die Behauptung des Antragsstellers, dass die Kündigungen koordiniert oder rechtswidrig erfolgten.
„Allein aus dem Umstand, dass die Kündigungen in Wortlaut, Aufbau und Form identisch sind, folgt nicht, dass diese vom Antragsgegner herrühren“, wie das Gericht betont. Laut Urteil ist es zudem zulässig, einem „Arbeitnehmer bei einer rechtmäßigen Kündigung helfend zur Seite zu stehen“. „Ebenso darf das Kündigungsschreiben vom neuen Arbeitgeber übermittelt werden oder für eine rechtmäßige Kündigung eine Prämie ausgelobt werden“, wie das Gericht betont.
Freie Arbeitsplatzwahl ist ein hohes Gut
Das Gericht unterstrich in dem Urteil die Bedeutung des freien Wettbewerbs: „Die Freiheit des Wettbewerbs erstreckt sich auch auf die Nachfrage nach Arbeitnehmern. Unternehmer haben keinen Anspruch auf den Bestand ihrer Mitarbeiter.“ Mitarbeiter seien in ihrer Arbeitsplatzwahl frei, geschützt durch Artikel 12 GG (Grundgesetz).
Das Abwerben von Mitarbeitern sei ein legitimes Mittel, die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das Gericht betont: „Grundsätzlich spielt es auch keine Rolle, welche (Schlüsselkräfte) oder wie viele Mitarbeiter abgeworben werden. Der Abwerbende braucht auch sein Vorhaben dem bisherigen Arbeitgeber nicht mitzuteilen, um ihm ein Bleibeangebot zu ermöglichen.“
Darüber hinaus stellte das LG Koblenz fest, dass der Antragsteller zu lange mit seinem Antrag gewartet hatte, um eine Dringlichkeit einer einstwilligen Verfügung zu begründen. Die ersten Kündigungen der Mitarbeiter lagen bereits drei Monate zurück. Laut Rechtsprechung werden hier in der Regel nicht mehr als ein oder zwei Monate zugebilligt.